BUNDjugend Hessen  

Erdüberlastungstag 2022

Erdüberlastungstag. Ein Kommentar.

28.07.22, Kommentar von Derian Boer (Bundesvorstand der BUNDjugend)

Nun wird auch in Europa die Verwundbarkeit des ökologischen Gleichgewichts und die Endlichkeit der Ressourcen der Erde zunehmend sichtbar. Rechnerisch drückt unter anderem der globale Erdüberlastungstag (engl.: earth overshoot day) die Verletzlichkeit und Überstrapazierung des weltweiten Ökosystems aus. Für das Jahr 2022 ist dieser Tag heute erreicht.

Das Datum ist nicht willkürlich gewählt. Dahinter steckt eine komplizierte Rechnung: Grob zusammengefasst drückt das Datum den Tag im Jahr aus, ab dem die Natur so weit beeinträchtigt wurde, wie sie sich in diesem Kalenderjahr wieder regenerieren kann. Dabei wird nur der für das ökologische Gleichgewicht unmittelbar relevante Teil der planetaren Grenzen berücksichtigt. Trinkbares Süßwasser, nicht nachwachsende Rohstoffe wie Metalle und Abfälle inklusive radioaktivem Material fließen beispielsweise nicht oder nur indirekt mit ein.

Dass das Datum des Erdüberlastungstags immer weiter im Kalender weiter vorrückt, zeigt deutlich: Wir rutschen immer tiefer in die Krise und sind auf keinem guten Weg, daran etwas zu ändern. Die Ausbeutung der Erde wird nicht mehr lange so funktionieren und unser Planet alle Menschen versorgen können, egal ob reiche Nationen weiterhin versuchen werden, auf dem Rücken des Globalen Südens ihren Wohlstand zu erhalten oder für gerechteren Ausgleich sorgen werden. Verteilungskonflikte bis hin zu Kriegen werden unausweichlich werden. Ein paar mehr Ladesäulen für schwere Elektrofahrzeuge, zu denen sich die FDP durchringen kann, weil sie am Ende wieder der Autoindustrie zugutekommen, können daran nichts ändern. Viele Menschen machen sich Sorgen. Doch die Radikalität des Problems macht ohnmächtig und lässt die Flucht in den geregelten Alltag verlockend erscheinen. Und wer sich keine Sorgen macht, muss schlicht an ein Wunder glauben.

Sollten wir also alle den Kopf in den Sand stecken? Von Kindesbeinen an lernen wir, dass es uns nur gut geht, wenn unsere Wirtschaft immer mehr produziert und mit unseren Exportwaren die Welt flutet; und wir lernen, unseren Wohlstand in stetig wachsendem privaten Konsum festzumachen. Dabei zeigen Studien, dass ab einem gewissen finanziellen Einkommen, welches unsere Existenz sichert und essentielle Freiheiten ermöglicht, unsere Zufriedenheit und unser Wohlbefinden kaum mehr vom Geld abhängt. Wohlstand kann auch bedeuten: eine für alle bezahlbare gesunde Ernährung, kostenfreie Versorgung durch eine gutes Gesundheitssystem, Zugang zu hochwertiger inklusiver Bildung, die Freiheit, sicher Radfahren zu können, mit der Bahn überall hin zu kommen und vor Ort, egal wo, ein Auto oder auch ein Lastenfahrrad ausleihen zu können, in eine diskriminierungsfreie lebendige Gesellschaft eingebunden zu sein und mitbestimmen zu können, eine erfüllende Arbeitsstelle zu haben, sich außerdem Zeit für Familie und Freunde nehmen zu können und in einer intakten Umwelt zu leben.

Um diesen von öffentlichem Luxus anstatt ungleich verteiltem privaten Konsum geprägten Wohlstand zu erreichen, welcher innerhalb der planetaren Grenzen nachhaltig erhalten bleiben kann, benötigen wir einen echten Systemwechsel anstatt einzelner hart errungenen kosmetischen Maßnahmen, welche mit dem Wachstum unseres Verbrauchs nicht Schritt halten können. Häufig wird darüber debattiert, ob nachhaltiges menschliches Leben mit Veränderungen der individuellen Lebensweise erreicht werden kann oder nur eine plötzliche radikale politische Kehrtwende etwas bewirken kann. Greta Thunberg sagt dazu: “Ja, wird benötigen eher einen Systemwechsel als individuelle Veränderung. Doch wir können nicht das eine oder das andere haben.” Häufig sind es Pionier*innen, die im Kleinen demonstrieren, was möglich ist, bevor politische Akzeptanz und Förderung folgt und die Ausnahmen zur Norm werden. Die ersten Unverpacktläden gab es lange vor dem Verbot von Plastikstrohhalmen in der EU, die ersten Photovoltaikanlagen existierten vor der EEG-Umlage und heute sind Lastenfahrräder auch ohne sichere und komfortable Radwege vielerorts unterwegs. Doch was für eine Mehrheit der Bevölkerung zugänglich und verbindlich ist, wird erst durch politische Entscheidungen bedingt. Und so ist es Aufgabe von Politiker*innen mit Mut zur Veränderung und Blick nach vorne die Zukunft zu gestalten und uns von ihren Ideen zu überzeugen. Denn ein träges Weiterso und nur Reaktion auf eintreffende Katastrophen können wir uns nicht mehr leisten.