Lesefutter für den Sommer
Passend zum Schwerpunktthema unseres Eine-Erde-Camps 2022 „Geld und/oder Glück? – wie wollen wir leben?“ stellen wir euch einige Bücher vor, die sich mit dem bestehenden Wirtschaftssystem und möglichen Alternativen beschäftigen:
Jason Hickel – Weniger ist Mehr
Jason Hickel schreibt ein überzeugendes Plädoyer für das Degrowth, um die vielen Krisen, die die Erde und damit auch die Menschheit bedrohen – wie Klimawandel, Schwund der Biodiversität, Degradation der Böden – abzuwenden.
Zunächst stellt er die Entwicklung des Kapitalismus dar. Dabei geht er weit zurück bis ins 15. Jahrhundert, als durch eine Politik der Einhegung die Allmende immer mehr privatisiert wurden. Dies war Ausgangspunkt für eine fortgesetzte Extraktion von Rohstoffen, immer zu dem Zweck, ein Mehr an Tauschwert zu erreichen. Dieses Prinzip der Extraktion und Inwertsetzung breitete sich mit der Kolonisation über die ganze Erde aus und hält bis heute an. Dabei steigen die Stoffumsätze exponentiell und erreichen aktuell das Doppelte am materiellen Fußabdruck, den Wissenschaftler*inner als maximal sichere Grenze für die Regenerationsfähigkeit der Erde ansehen. Hickel zeigt auf, dass wir raus aus der Wachstumsfalle müssen und dass es kein „Grünes Wachstum“ geben kann, das von diesem Materialumsatz abgekoppelt ist.
Dagegen setzt er Befunde, dass ein gutes Leben im Sinne eines langen, erfüllten und zufriedenen Lebens in Gesundheit nicht an Einkommen oder materiellen Wohlstand geknüpft ist und welche Pfade es aus einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft mit konkreten Maßnahmen, wie z.B. geplante Obsoleszenz unterbinden, geben kann. Zentraler Punkt ist für ihn dabei die Rückgewinnung der Demokratie in die Hand aller Menschen, die ihnen die Macht gibt, ihr Leben nachhaltig zu gestalten.
Zum Abschluss macht er einen spannenden Exkurs in die Philosophie und neusten Erkenntnissen der Naturwissenschaften, die unser dualistisches Weltbild radikal in Frage stellen und ihm eine ganzheitliche, zusammenhängende Sicht der Welt entgegensetzen.
So wird Degrowth weit mehr als Verzicht, sondern bedeutet auf vielen Ebenen Zugewinn.
Ulrich Brand & Markus Wissen: Imperiale Lebensweise – Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im Globalen Kapitalismus
Bereits 2007 erschienen – aber bis 2016 überarbeitet und ergänzt – ist eine präzise Analyse von Brand und Wissen, wie die imperiale Lebensweise der Menschen in den Industriestaaten, aber auch der Mittelschichten der Schwellenländer die Ausbeutung der Ressourcen, die Zerstörung der Umwelt und die Übernutzung der Senken – d.h. der Systeme, die die Abfälle dieser Lebensweise aufnehmen – befördert. Dabei zeigen sie die Kontinuität vom Kolonialismus bis zum heutigen, globalisierten Kapitalismus auf, der auf Extraktion von Ressourcen und Externalisierung der Folgen beruht. Daran sind Produzenten wie Konsumenten beteiligt, auch wenn letztere quasi Komplizen des Systems sind, indem sie partiell an den vermeintlichen Vorteilen – den manigfaltigen Konsummöglichkeiten – partizipieren können.
Die Autoren zeigen das Zusammenspiel von Produktions- und Konsumnormen beispielhaft an der Autoindustrie in Deutschland auf. Dieses führt dazu, dass auf erkannte Widersprüche immer mit „Mehr des Selben“ reagiert wird und so das individuelle Mobilitätsverhalten zur Verschärfung der ökologischen Krise beiträgt.
Dieser Prozess der Durchdringung immer weitere Lebensbereiche von dem Prinzipien der imperialen Lebensweise lässt sich bei allen zeitlichen Versetzungen und Unterschieden auch in den (ehemaligen) Schwellenländern wie China, Indien oder den Staaten von Lateinamerika feststellen. Sie treten damit mit den Industriestaaten des Nordens in Konkurrenz um den immer kleiner werdenden Planeten, d.h. um die immer geringer werdenden Spielräume zur Externalisierung.
Im letzten Kapitel werden die Perspektiven für einen Weg hin zu einer solidarischen, gerechten, demokratischen, friedlichen und ökologischen Lebensweise aufgezeigt, die global und dauerhaft erreicht werden muss, um die planetaren Grenzen nicht weiter zu überschreiten.
Ulrike Hermann: Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung
Sozusagen als Einstieg und Basic kann man das Buch von Ulrike Hermann nehmen. Es liest sich leicht und stellt die Theorien von Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes vor, die gerne von der heutigen Mainstream-Ökonomie als verstaubt abgetan und ignoriert oder falsch zitiert werden. Die Theorien werden im Rahmen der Biographie des jeweiligen Wirtschaftstheoretikers vorgestellt. Dadurch lässt sich nachvollziehen, in welchem Kontext die Theorien entwickelt wurden und für welche Missstände oder Probleme in der jeweiligen Zeit Smith, Marx und Keynes nach einer Antwort suchten – und aus dieser Sitzuation heraus ihre Theorien entwickelten. Dennoch betont Hermann, dass damit wichtige, sozusagen zeitlose Prinzipien der Volkswirtschaftslehre entwickelt wurden, die von der neoliberalen Ausrichtung der Wirtschaftsforschung ignoriert werden. Das hat in der Praxis – die sich nach den aktuellen Wirtschaftsgurus ausrichtet – zum Teil dramatische Auswirkungen, wie z.B. die durch die unregulierten Finanzmärkte ausgelöste Finanzkrise 2008 mit unzähligen Bankenpleiten und Vernichtung von Existenzen bis hin zur Finanzkrise Griechenlands.
Hermann appelliert, sich die Aussagen der klassischen Theoretiker wieder vorzunehmen und anzuwenden, z.B. zur Regulation der Finanzmärkte. Denn Kapitalismus sei ein komplexes gesellschaftliches Zusammenspiel – das man gestalten, aber nicht abschaffen kann.
Ulrike Hermann ist Wirtschaftskorrespondentin bei der taz und regelmäßig Gast in Radio und Fernsehen.